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Gedichte aus »Mensch Ärgernis«

Die Gärten der Folter

120 Takte Sodom

Was stöhnt Ihr so lind Euren Duftschrei hinauf in den Abend,
der Watte hinein, in den Dämmer den Nachlaß der Kelche, Ihr
Gärten der Folter! Was strömt hier zusammen, des Rosenstocks
Ächzen, der Flußkähne Köhlergedächtnis, des Gliederstumpfs
süßliches Erdenversteck! Hat schon Flußlauf vergessen die tigri-
schen Triebe, selbst Nachtigall pfeift schon, den Nachhall der
Schritte verscheuchend, im Trippeln verbotene Lieder – kurz
nickend, ein Pfau, war’s ein Kranich, der schrie? Und inmitten
spielt immer das göttliche Kind. Doch von tagschweren Wolken,
verseucht von der Schwüle des Mittags, wenn alles nur lastet,
eins länger zieht Nägel aus Morschem, verrostet die Harfe,
perlt ferne noch Tränen von Eseln, der Hühner Geschrei ob ver-
stopftem Gedärm. Doch am Abend kommt milde der Schleifer,
stimmt an ihre Saiten zu Grillensangs letzter Minute. Drein
platzen nur Frösche und springen. Glyzinien hängen wie Brüste,
beschwert. Auf die Rollige springt mit dem Stummel der Kater.
Die taumlige Taube, tumb humpelt Dreivierteltaktshund. Denn
vor Estragons Schweigen schnappt Fisch. Baut sich Beine vom
Bisam zum Kleeblatt, fügt Laich zu der Kröte, den Räudigen
bläst ihre Kehlen, zum Heulen verjubelt den teuren Jasmin, und
mit fehlender Schwurhand, das göttliche Kind. Denn geöffnet
des Nachts breitet Totenkopf aus seine Schwingen zum schwan-
kenden Markt, wenn ganz offen Euch, Gärten, die Poren hinab
bis aufs Mark. Dann erst foltert Ihr tief alle Sinne.
 

 

 

 

Dichterlesung

Worte, zerstörungsentsandt,
naher Rhythmenverband, und
ein Silbengeklinke, entfallende
Lichtorgelreime, Getanne und
Phosphorgeschenk aus den
Drohnen, Parnassosgebrumm,
bis der Herzblock quadriert und
die Squadra die eigenen Stätten
zerschellt: Daß es lodere,
herzkopfgeplant, und so wahllos
stets regelgerecht.
Gleiche lautstark’ Geschwister, sie
steigen gen Morgen schon auf,
für ein Nachsuchgetusche, daß
nichts, was noch heimatlich redet,
an Zunge und Bändern bleibt
schnitterverschont.

Und danach nimmt er wahllos
aus Frauengeschwadern sich
eine heraus, denn das Leben
gekürzt hat er, frieren gemacht.

Sie geht mit auf den Flugplatz,
ins Haus.

 

Geleitet vom Stern

Appassionata, eine Nacht mit Beethovens op. 57

So kurz küßt der Frieden,
so kurz biegt sich Schönheit
zum Leib, welcher alles
enthüllte, wär ewig nicht
Traumes Verlust – steter
Tropfen von Ton, welcher rührt
an die Trommel der Zeit.
Welche Fetzen von Jugend,
das Leben ein rasender Herzschlag,
die Angst ist noch Sog.
Wie die Träume gekippt
zu den Haufen von Leibern,
mein Gott, es ward wahr,
was im Unterton heizte.
Gebannt nur vom Heißzorn
des nackten Erbarmens,
hält einzig verzweifelt
die Klammer des Ichs.
Mit den Schlägen des Herzens
nach Herzkörpern hämmern,
die einsame Hatz des Verlangens.
Ein Nachtsee voll Rosen,
wo andere tagelang liebten –
ein Schacht zum Ersäufen,
gefrorener Brunnen mein Quell.
Träumt im Schädeldach,
sprengt, in den Kosmos
sprüht kirr mein Komet.

 

Der Tor und der Tod

Gegrüßt sei mir, Pontius,
Statthalter aller, Pilatus,
denn hoch benedeit vor den Stämmen
speit gnadenlos Wahrheit Dein Name,
des Samens Verrat flucht er, ewig Verrat.

Pilate, Dir Nachgeburts Unschuld
mein Ave, Spion zwischen Heeren,
bloß Züngler, verheerend gesplissen:
Wäschst Hände voll Spalten in Unschuld,
und reichst sie dann Henkern wie Lamm.

Gegrüßt sei mir, Hammel,
dem immer was fehlt, schon geboren zur
Fehlzeit, und zuständig nimmer: Zu früh,
um zu morden, verspätet verläßt Du,
wenn Motten im Vorhang, den Platz.

Mein Liebling des Zweifels,
in Flucht vor den Fronten, verraten
von Dir und verachtet, Du Lügner von
unseren Gnaden: Dem Antlitz verheißen,
nickst Nachbarsirenen längst zu.

Mein Statthalter, Ave, Dir Feigling:
Drum bitt für uns gnadenlos jetzt wie
auch künftig zur Stunde Geburt, wann Du
kommst, um zu richten uns Eidschwur
und Unschuld, zu Grunde die Scham:

Denn Dein ist die Furcht, alles
Elend und Türmen: Gerichtet bist Richter,
zur Linken wie Rechten der Wahrheit
wirst niemand verkünden, bloß fragen:
‚Was, Rabbi, ist Wahrheit?’ den Tod.

 

RAF

Auf dem Nachttisch
ruht Justine, wund gepeitscht,
pitschnaß daneben, abgeputscht
und durchverwirklicht, Gott,
wie ist das Bett kommun. Lasch
aufgestyled im Raum daneben,
kühn der Schliff, kühl tief der Zug,
kurz Silbenschnitt, Designerkitt,
im Spiegel gern viel Morgenstern,
schon schallen Eiskristalle kritisch
voller Glut gen Jericho. Klebt
längst vergessen, lahm vergossen,
Beaujolais auf Abzugsfeldern,
Steuer naht, kommt Spendenscheck.
Liegt nah, begrünt, das Kanzleramt,
schuppt grau sich Hegels Logikbaum.
Regale nämlich biegen sich.

Da waren auch noch Endverrückte,
wirre Paare, irre Typen, Rasputin
samt Brautgefolge, Schleyer, Ponto,
umgemäht.

Die haben sich auch umgebracht.
Nur anders. Nicht wie wir, die RAF.

 

Balkankneipe, irgendwo

Ich bin ein alter Mann.
Ich trinke meinen Schnaps.
Ich hab gemordet Nachbarn,
Frau und Kind.
Ich wollt’ mein Heimatstück
allein, und ohne dieses Volk.
Ich weiß, daß mir vor Gott
nichts nützt.
Ich trinke meinen Schnaps.
Ich macht’ den Nachbarn fort.
Das Land ist trotzdem weg.
Auf keinen Tod Verlaß.
Ich trinke meinen Schnaps.
Kein Mann mehr, nur noch alt:
Und nüchtern sehr.

 

Antike Landschaft

Gleich kommt der Senator.
Vielleicht ist er eben erschienen
und schaut übers Heer der Zikaden,
den nächtlichen Chor,
der noch keinen begrüßt.
Jedes Heer, das hier jemals gewütet,
es hat seine Schlacht nur geschlafen,
geträumt, daß ein Zweig sich verbiege,
sich böge dem Joche der Zeit.
Die Zypressen, sie stehen hindurch
ein Jahrhundert, in dem der Zikaden
gestrichenen Meßsang Apollons
noch niemand versteht.

Wenn die Heere verschlafen,
dann bittet der alte Senator zum Wein
und hat Mädchen bereit, bis die
Sommergespräche beginnen.

Nur dann und erst dann.

Diese Nacht brennt kein Licht,
nur der Mond tönt die gegengegründeten
Hänge der Nacht in ein helleres Hier,
als des Tages Erinnerung bietet:

Nur dann kämmt die Erde
ihr Alter sich endgültig aus.

Dieses Landgut hat niemandes Preis
und ist selbst den Zikaden nicht käuflich:
Nur nachts ist der Blick des Senators
schon frei, sind erträumt alle Metamorphosen,
auch jene ins kommende Schwarzmeer,
auch diese zurück zum Beginn,
der noch lohnt:

Wenn das Haar aller Erde uns streift,
auch den allgegenwärtigen Sklaven,
der aufschreckt, als erster begreift:

Daß die Kämme längst brechen seit einst.

Was Zikaden besingen,
Zypressen verstehen,
bleibt abseits und still –
wie das Schlachten des Monds,
wie das Schächten des silbernen Weinstocks,
Fontänen aus Trauben, die
ich nicht gesät.

 

Die Rose von Sagres

Eine Rose, versteinerter Traum
auf der länderverlassenden Klippe,
dem letzten noch denkbaren Fels,
eine Rose, gemeißelter Traum
eines wärmeren Herzens, vom Morgen
zum Abend hin weit, jedes Blatt
dieser Blüte so leicht wie ein
Windhauch zu ferneren Küsten,
der größten, unendlichen Zahl.

Eine Windrose blühte, schlug auf
ihre Blätter zum ordnenden Kreis –
doch uns steinernen Gästen von Sagres,
uns friert, die wir kennen
die Maße der Welt.


Sagres – Ort an der Südwestspitze des europäischen Kontinents mit der Seefahrerschule Heinrichs des Seefahrers aus dem 15. Jahrhundert, zu der, nah der Klippe, eine riesige, der

Orientierung dienende Windrose
unter offenem Himmel gehört.

 

Nicht sichtbar, so groß

Das große Geheimnis kommt leise:
Es kommt mit den Tönen der Flöte
zu fernem Barock,
mit dem Winter der Bäume,
die grün Dich erfreuten
von Jugend auf treu –
und es kommt mit den dünnen,
dann dichteren Schleiern der Liebe,
den rascheren Zügen am Rot des Bordeaux,
seinen samtenen Kreiselgesprächen
allein mit dem Ohr.
Wie es anschleicht im hektischen Schlürfen
von einem von tausenden Büchern,
im Schlingen von Reiseprospekten
voll flüsternder Photos vom Flieh’n des
verborgnen Dorado!
Je kleiner das Reich an gebliebnem Geheimnis,
so weltdeckend größer stets wächst Dir
dies andere zu – wo kein Kontinent weiß,
doch ein Meer, völlig schwarz.
Bis es kriecht in die achtlose Arbeit
am täglichen Barthaar, soeben dem Kaffee
sein Morgenland raubt,
bis es taubt jene Töne, dem Frühlicht
schon lang nicht mehr stundengesungen.
Das große Geheimnis schweigt immer,
so laut es auch tönt.

 

Hortus conclusus

Ein Garten an der Kathedrale,
violett, summt Bienenmeer samt mir
sein Bett, und Rosenfrieden, älter
als des Kreuzgangs Spur. Viel
Kelche, doch der Ölbaum Kind.
Drin übt er schon an Bach,
Toccaten schlägt mein Herz, ob
wüst sein Lauf hier, öd und leer.

Danach, im Chorgestühl des
Herzens, ein Disput – Scholastiker,
ein Teufel, Engel, Mönch,
Harmaggedon im Kleinen –, ob
Bach recht behält und Liebe
glauben macht. Um Palmzweig,
Dornenkrone stritt sein Ton, und
fand sich, heute schon, im Paradies.

 

Zahrt, Zähren, zähmt

"O Mensch, bewein Dein Sünde groß", BWV 622

 Geschmeide nicht noch Schmuck noch Zier,
wenn Falten reichst, spring, ström ich Dir,
mit Tod im Haar sollst kommen;
noch spätste Pfort kühn sprengend auf,
geußt drein sich drauf meins Lebens Lauf,
mir kärgsten Seel soll’s frommen.

 Geschändt’ von mir, durchnutzt und wund,
erst tu mein’ Hirnbetts G’würm Dir kund,
mei’m Haar entlang sollst streichen;
mein Höll’ hätt brechen auf Dir solln,
hättst hören tief schon dämmernd wolln,
nun will im Tod Dir gleichen.

 

Majestas Domini

Dein Gesicht in der Apsis,
das sprach, weil es schwieg.

Dein Geschenk an der Seite,
das schwieg, weil es liebt.

Das Gewölbe weit offen,
versprach jeder Stein.

Mein Gelöbnis der Liebe,
ich schwieg und versprach.

Wie ich nichts und Du alles,
mein Geist, der ich bin.

 

 

 

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